06. Mai 2024
Feste Feiern

Alles Gute, Herr Doktor! - Zum Geburtstag von Sigmund Freud

von Hannah Landsmann
© David Peters
Sehr geehrter Herr Doktor,

so eigentümlich es scheinen mag, dass man Toten Briefe schreibt, ich bin sicher, Ihnen wird es nicht eigentümlich vorkommen, Sie haben einiges erlebt. Vielleicht würden Sie diese besondere Art des Briefwechsels sogar interessant finden? Er ist freilich etwas einseitig, als therapeutische Maßnahme aber womöglich in Betracht zu nehmen? Vielleicht würden Sie mir gar raten, ruhig weiterhin Briefe an Verstorbene zu schreiben, da mit dem Schreiben nicht nur Informationen, sondern auch Botschaften und Gefühle von einem zum anderen gebracht werden können. Das Nachdenken und die Phantasie haben andere Grenzen, außerdem hilft es den Lebenden an die Toten zu schreiben.
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© David Peters

Anlässlich Ihres Geburtstages am 6. Mai möchte ich Sie aber vor allem auf das Herzlichste aus dem Jüdischen Museum Wien grüßen. Ich möchte Sie wissen lassen, dass Sie nicht nur in der Berggasse 19 – Sie erinnern sich bestimmt? – vertreten sind, im Freud Museum, das sich in Ihrer ehemaligen Wohnung bzw. Ordination befindet, sondern auch in der Dorotheergasse 11, im Jüdischen Museum Wien. Sie sind gleich viermal vertreten – nicht schlecht, oder? Ob Ihnen das gefällt, wissen wir freilich nicht, zumal wir ja nicht einmal um Erlaubnis gefragt haben, ob Sie denn überhaupt in einem jüdischen Museum aufzutreten wünschen. Vielleicht sähen Ausstellungen gänzlich anders aus, wenn man die historischen Damen und Herren erst um ihr d’accord bitten müsste, bevor man über sie oder mit ihnen Ausstellungen kuratiert?

Meine Aufgabe im Museum ist es, die Besucher:innen in den Ausstellungen über die Ausstellungen, die Menschen, Dinge und Geschichten darin ins Gespräch zu bringen. Wir sprechen dabei über „Unsere Stadt!“ und über ihre und unsere Gegenwart und Vergangenheit. Sie, Herr Doktor, sind bei „Shalom Vienna!“ immer dabei und haben einen Auftritt als Gast in Wien, als Tourist, wenn Sie so wollen. „Shalom Vienna!“ ist ein Vermittlungsangebot für Schüler:innen – es funktioniert auch mit Erwachsenen – bei dem Sie und andere jüdische und nicht jüdische Berühmtheiten vorkommen, die im Museum ein Lieblingsobjekt finden. Sie wählen übrigens oft den Tisch. Er befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den Objekten, mit denen Sie im Museum vertreten sind. An diesem Tisch haben Sie mit Herrn Karplus senior auf der Ringstraße Karten gespielt. Sein Enkel Martin Karplus ist nicht nur Nobelpreisträger in Chemie, er hat dem Jüdischen Museum den Tisch geschenkt. Sein Großvater wurde aus Wien vertrieben, sein Enkel in diese Stadt eingeladen. Wollte man alle Enkel aller vertriebenen Großeltern einladen, die Stadt hätte einiges zu tun.

Das kreative Potential des Workshops führt aber aus dem Museum hinaus, denn für Sie wird eine Adresse gefunden, an der Sie wohnen würden, kämen Sie nach Wien, nur so und auf Besuch. Vielleicht auch, um zu sehen, was aus Ihrer Stadt geworden ist? Die Schüler:innen wollen Sie oft in Ihrer ehemaligen Wohnung unterbringen. Sie wollen hier nur übernachten, nichts weiter. Das Museumsteam hat die Idee, Sie ganz einfach in die Ausstellung zu integrieren, Sie könnten dann auch Besucher:innen therapieren, die sich anstellen würden – von der Berggasse bis zur Uni würde die Schlange reichen – man will das mit dem PR-Team und der Social Media Abteilung klären, aber es scheint eine sehr gute Idee zu sein, von der alle begeistert sind. Ihnen gefällt das nicht. Sie seien kein Museumsobjekt.

Ich wüsste selbst nur allzu gern, wie Sie Wien heute sehen würden. Folgendes Zitat ist von Ihnen überliefert: Mir graut vor Wien. Das sagten oder dachten Sie, wenn Sie aus der Sommer- oder Winterfrische vom Semmering zurück nach Wien fuhren. Kennen Sie „Der Trafikant“? Das Buch oder den Film? Oder beides? Finden Sie sich gut getroffen? Die meisten Leute sagen, dass ein Film oft nicht so gut ist wie das Buch – wie sehen Sie das? Ach, ich hätte eine Menge Fragen.

Mit den herzlichsten Grüßen verbleibe ich nun – wissend, dass Sie nicht antworten werden. Und doch sind wir ins Gespräch gekommen.

PS: Ihre Arzttasche ist übrigens bis 1. September 2024 in der Dorotheergasse 11 in der Ausstellung „Who cares?“ zu sehen. Eine Leihgabe aus der Berggasse 19 und ein Hausbesuch.

PPS: Haben Sie auch Hausbesuche gemacht?

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© David Peters
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© Günter König, Sigmund Freud Privatstiftung