Universitärer Antisemitismus und ein Ball im Jahr 2016
 
Seit 1952 findet jährlich der Ball des Wiener Korporationsrings, kurz WKR-Ball (seit 2013 „Akademikerball“), statt. Dort treffen sich Angehörige schlagender Burschenschaften und rechte PolitikerInnen zur europaweiten Vernetzung. Deren antisemitische – wesentlich an den Universitäten herausgebildete – Traditionspflege nahm ihren Anfang vor rund 140 Jahren.
 
In unserer laufenden Ausstellung „Die Universität. Eine Kampfzone“ zeichnen wir diese Geschichte nach: Im Jahr 1875 veröffentlichte der damals in Wien lehrende Chirurg Theodor Billroth seine Schrift Über das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaften an den Universitäten der Deutschen Nation nebst allgemeinen Bemerkungen über Universitäten. Eine culturhistorische Studie. Eine darin enthaltene antisemitische Fußnote ist Ausgangspunkt blutiger Ausschreitungen und in weiterer Folge eines von den Universitäten ausgehenden Antisemitismus.
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© Wienbibliothek im Rathaus
 
Im Zeitfenster von 1875 bis 1938 nehmen die Versuche, Juden (und ab 1897 Jüdinnen) von den Universitäten auszuschließen kontinuierlich zu bzw. wird dieser Ausschluss mit allen Mitteln – über rechtliche Schikanen, über mehr oder weniger offene Diskriminierung bis hin zu roher Gewalt – weit vor 1938 erfolgreich vorangetrieben.
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Café Hochschule, Währinger Straße, Mai 1933; © Landespolizei Wien, Historische Dokumentationsstelle
 
Die alten Netzwerke an den Universitäten werden auch nach 1945 gepflegt und in diesem reaktionären, schwarz-braunen Klima ereignet sich 1965 die Affäre Borodajkewycz. Hierbei werden Kontinuitäten sichtbar, die bis in die Gegenwart reichen: Jene, die 1965 die Pressekonferenz für Borodajkewycz organisierten – sie war Plattform für Borodajkewycz in aller Öffentlichkeit seine kruden völkischen und antisemitischen Thesen vor einer begeisterten Menge zu präsentieren – sind dieselben, die heute den WKR-/„Akademikerball“ organisieren.
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© ORF Archiv
 
Daher zeigt die Ausstellung „Die Universität. Eine Kampfzone“ auch ganz bewusst Aufnahmen der Borodajkewycz-Demonstrationen und ORF-Ausschnitte aus dem Jahr 2012 nebeneinander, denn in diesem Jahr fand der WKR-Ball am 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, statt. Spätestens als Heinz-Christian Strache am Ball behauptete, die BallbesucherInnen seien „die neuen Juden“ und damit eine klassische Täter-Opfer-Umkehr betrieb, dürfte deutlich geworden sein, um was für eine Veranstaltung es sich beim „Akademikerball“ handelt.
 
In dieses Bild passt auch, dass Marine Le Pen, Ballbesucherin 2012, dieser Tage einen Prozess verloren hat, in dem sie gegen einen Journalisten vorgehen wollte, der den WKR-Ball einen „antisemitischen Ball“ nannte. Ihr Verteidiger versuchte dabei sogar ins Treffen zu führen, dass der Ball nicht antisemitisch sein könne, da Theodor Herzl Mitglied einer jener Burschenschaften gewesen sei, die den Ball organisieren. Dabei verschwieg er allerdings, dass Herzl aus dieser Burschenschaft aus Protest gegen den aufkommenden Antisemitismus 1883 austrat. Was Herzl in seiner Austrittserklärung genau festhielt, ist in unserer Ausstellung nachzulesen.
 
Mag sein, dass die Bedeutung jener, die heute eine im engeren Sinne antisemitische Tradition an der Universität hochhalten, marginal geworden ist. Demgegenüber ist ihre Bedeutung außerhalb der Universitäten besorgniserregend gestiegen – ihr antisemitisch geprägtes Weltbild begegnet uns heute stärker in Form von generellen Exklusions- und Ungleichheitsvorstellungen wie Rassismus und Sexismus.
 
Die Burschenschafter wissen aber bis heute – auch das, wenn man will, eine Kontinuität – um die symbolische Bedeutung, öffentliche Orte für sich in Anspruch zu nehmen: an der Universität sind dies Aula, Rampe und Arkadenhof, außerhalb universitärer Mauern sind es Heldenplatz und Hofburg. Daher ist es ein Skandal, dass der Ball auch 2016 in der symbol- und geschichtsträchtigen Hofburg stattfinden kann.
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Bummelplan des Arkadenhofs an der Universität Wien aus dem Studienjahr 1894/95, © Archiv der Universität Wien
 
Hinweise
Stefan Brändle, „Le-Pen-Abfuhr nach WKR-Ball“, Der Standard, 14. Januar 2016.
 
Zu akademischen Burschenschaften seit 1945 siehe Bernhard Weidinger, „Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945, Wien/Köln/Weimar 2015.
 
Titelbild: Ausschnitt aus dem Satiremagazin Der Götz von Berlichingen, 24. Juni 1927; Österreichische Nationalbibliothek