Wissen Sie, wo Fünfhaus liegt und wo sich Sechshaus befindet? Aus dem Fünfhauser Tempel ist im Jüdischen Museum Wien ein Kiddusch-Becher zu finden, aus der Synagoge in Sechshaus Plaketten für Institutionen der Wohltätigkeit. Beide Gotteshäuser hatten ihre Adressen im heutigen 15. Bezirk. Die Lage am unregulierten Wienfluss förderte im 18. und frühen 19. Jahrhundert die Ansiedlung von Handwerkern und Manufakturen wie Färbereien, die für ihre Betriebe Wasser benötigen. Das riesige Areal der Schmelz wurde ab 1847 als Exerzierplatz genutzt und bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht besiedelt. Die Eingemeindung der Vororte wurde am 1. Jänner 1892 vorgenommen.
 
Sechshaus ist der südlichste Bezirksteil des 15. Bezirks, Fünfhaus der nördliche und östliche Teil. Seit 1957 heißt der Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus und ist eine der 89 Wiener Katastralgemeinden. Die Grundlage dafür bildet das Grundsteuerpatent von Franz I. vom 23. Dezember 1817. Die im Grundbuch zusammengefasste räumliche Verwaltungseinheit wurde zur Veranlagung der Grundsteuer herangezogen.
 
Die Wiener Vororte bzw. die Bezirke außerhalb des Gürtels sind in der Wahrnehmung vieler Wienerinnen und Wiener nicht sehr oder gar nicht mit jüdischer Geschichte verknüpft. Die Anzahl der aus den Synagogen dieser Bezirke vor dem Novemberpogrom geborgenen Objekte ist relativ klein. Daher lohnt sich ein genauerer Blick.
 
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Foto © JMW
 
Laut Widmungsinschrift ist zu eruieren, dass es sich bei diesem Objekt um eine Spende für den Tempel Fünfhaus handelt, die Wolf Friedmann und seine Frau Zippora als ehrenwerte Mitglieder dieser Gemeinde im Jahr 1852 übergeben haben. 1852 war Fünfhaus noch ein Vorort und der sogenannte „Turnertempel“ in der Turnergasse 22 noch gar nicht gebaut. Ein Kiddusch-Becher ist mit Wein gefüllt und dient dazu, den Feiertag mit einem Segen, welcher über den Wein gesprochen wird, zu begrüßen. Neben einem Altwiener Beschauzeichen für das Jahr 1852 und einem nicht lesbaren Meisterzeichen ist die Inventarnummer 88 im Metall zu erkennen. Das Jüdische Museum erhielt dieses Objekt aus der Sammlung Max Berger, die 1986 für die Wiederbegründung des Jüdischen Museums der Stadt Wien zur Verfügung gestellt worden war. Wie Max Berger in den Besitz dieses Objektes kam, ist nicht mehr eruierbar. Museen sind restitutionspflichtig, der Kiddusch-Becher wurde also beforscht und von der Rückstellungskomission zur Restitution an die Israelitische Kultusgemeinde empfohlen, die die Rechtsnachfolgerin der 1938 und in der Folge aufgelösten oder zerstörten Synagogen ist. So erzählt der 12,5 cm hohe und mit 162 Gramm Gewicht eher leichte Becher Wiener jüdische Geschichte mehrdimensional.
 
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In der Turnergasse 22 in Fünfhaus wurde 1872 von Carl König der sogenannte Turnertempel geplant und gebaut. Die Abbildung zeigt eine Nahaufnahme der Ostseite der Synagoge. Gut zu erkennen ist die „Bima“, das Lesepult, von dem aus die Tora gelesen wird. Carl König gestaltete 1888 im böhmischen Reichenberg eine weitere Synagoge, die Produktenbörse in der Taborstraße, das Haus der Industrie am Schwarzenbergplatz und viele weitere Geschäfts- und Wohnhäuser in Wien.
 
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Der 1896 gegründete Bethausverein „Emunas Awes“ (Glaube der Väter) hatte in der Storchengasse 21 eine Schule untergebracht, die 1930 zu einer Synagoge umgebaut wurde. Die Pläne dafür lieferte Ignaz Reiser. Von diesem Gotteshaus sind keine historischen Aufnahmen oder andere Abbildungen vorhanden. Erhalten geblieben sind die Baupläne, welche die Studierenden der TU Wien für die digitale Rekonstruktion der 1938 zerstörten Wiener und österreichischen Synagogen heranziehen. www.lichtzeichen.wien liefert einen guten Einblick in dieses Projekt. Im Schaudepot des Jüdischen Museums Wien in der Dorotheergasse können Besucherinnen und Besucher auf einem Screen diese Rekonstruktionen erleben. Dabei kann man nicht nur einen Spaziergang durch Wien unternehmen, sondern in ganz Österreich herumreisen. Der Architekt Ignaz Reiser hatte bei Carl König studiert und zeichnete auch für die Synagoge in der Wiener Pazmanitengasse, den Wintertempel der Synagoge in der Hubergasse sowie Zeremonienhalle und Verwaltungsgebäude der israelitischen Abteilung am Wiener Zentralfriedhof verantwortlich. Synagoge und Amtsgebäude der Mödlinger Kultusgemeinde wurden ebenfalls von Ignaz Reiser entworfen.
 
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Aus der Sammlung Israelitische Kultusgemeinde, die 1992 als Dauerleihgabe an das Jüdische Museum Wien gelangte, stammen diese gut erhaltenen Plaketten. Sie wurden um 1880 gefertigt und sind 11 x 6 cm groß. Die Inschriften informieren über die auch in dieser Synagoge vielfältigen Möglichkeiten der Wohltätigkeit. Vielleicht waren die Plaketten auf Spendendosen angebracht – für einen Frauenwohltätigkeitsverein, die Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft), einen Unterstützungsverein „Maskil El Dol“ und eine Institution ehemaliger Mitglieder des Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Datierung dieser Plaketten weist lange vor die Zeit des 1930 erfolgten Umbaus der Schule in eine Synagoge zurück.
 
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Foto © Ouriel Morgensztern
 
Der Wiener Künstler Arik Brauer, 1929 als Erich Brauer in Wien geboren, wurde zum Vorsingen in den Turnertempel geschickt. In einem Interview mit Direktorin Danielle Spera in der Zeitschrift NU meinte der Künstler ironisch, die Machtergreifung der Nationalsozialisten hätte seine Karriere als Kantor noch vor ihrem Start beendet. Dass Arik Brauer trotzdem oder gerade deswegen auch eine musikalische Karriere gemacht hat, ist bekannt.
 
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Ob der Cartoonist Paul Peter Porges ebenfalls singen konnte, ist nicht überliefert. Seine Familie führte in der Moeringgasse eine Greißlerei. Der 1927 geborene Paul Peter konnte mit einem Kindertransport Wien in Richtung Frankreich verlassen. Auf dem Weg von zuhause zum Westbahnhof, wo die Züge in die rettende Freiheit abfuhren, kam die ihn zum Bahnhof begleitende Familie beim Märzpark vorbei. Paul Peter Porges durfte als jüdisches Kind dort nicht hineingehen, sein Vater fand aber, vor der Abreise solle es sein Sohn ruhig noch einmal tun. Der junge Paul Peter traute sich nicht. Der rote Pullover war ein Geschenk der Großmutter Gigi zur Abfahrt nach Frankreich, die drei Ps stehen für Paul Peter Porges. Der schon in Wien gebräuchliche Spitzname begleitete ihn nach Frankreich, über die Schweiz bis nach New York, wo er ein bekannter Cartoonist wurde und PPP zu seinem Künstlernamen.
 
 
Apropos Westbahnhof: In unmittelbarer Nähe des Bahnhofes befand sich in der Mariahilferstraße 135 / Ecke Palmgasse das Café Palmhof, das Otto Pollak ab 1919 gemeinsam mit seinem Bruder Karl führte. Die Ausstellung „Wir bitten zum Tanz. Der Wiener Cafetier Otto Pollak" gab einen interessanten Einblick in einen „Hotspot“ der Wiener Kaffeehaus- und Veranstaltungsszene und stellte eindrücklich unter Beweis, dass man die Vorstadt nicht unterschätzen soll. Man servierte dort Himbeer-Soda! Und es gab eine Miss Wien Wahl… Mehr zum Café Palmhof gibt es auch auf YouTube.
 
Titelbild © JMW