08. Oktober 2020
Unter der Lupe

Auf Wiedersehen …

von Hannah Landsmann
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Für eine längere Zeit haben die Objekte und Geschichten der Familie Ephrussi das Jüdische Museum und seine Besucherinnen und Besucher erfreut. Sie verabschieden sich von Ausstellungen, indem sie noch eine Führung buchen, an der allerletzten Führung teilnehmen oder den Ausstellungskatalog kaufen. Verabschieden sich auch die ausgestellten Objekte? Kann eigentlich nicht sein. Oder doch?

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„Wo ist denn der Hase? Der berühmte Hase? Wo?“ Ganz kann ich es nicht verstehen. Warum die Gäste als erstes mich sehen wollen. Ich bin verhältnismäßig klein, jedenfalls kleiner als man denkt, wenn man das Cover von Edmund de Waals berühmtem Roman im Kopf hat. Und es gibt noch 156 andere Netsukes, darunter fünf Hasen. Ich bin nicht besonders eitel und manchmal war es mir schon ein bisschen zu viel, aber insgesamt doch sehr lustig. Nahezu alle Gäste in der Ausstellung dachten, der Hase neben mir sei der berühmte Kollege. Einmal wurde meine Beschriftung „liegender“ Hase als „legendärer“ Hase gelesen. Ich denke seither darüber nach, wie man berühmt wird.
 
© Jüdisches Museum Wien
 
Meine Verehrung! Ich begrüße alle immer mit dem geöffneten Mantel, schließlich habe ich keinen Hut, den ich ziehen könnte. Und ich habe ein Loch im Bauch. Seltsam, oder? Wenn man weiß, dass ich ein chinesischer Exhibitionist bin, ist die Sache mit dem offenen Mantel und dem Loch ganz einleuchtend. Rechts neben mir befand sich in der Vitrine der „Ausländer“, er hat ein Äffchen im Arm. Zu meiner linken der „Amerikaner“. Er hat einen Stock und raucht Zigarre. Ich hatte den Eindruck, dass in den Köpfen der Besucherinnen und Besucher eigene Bilder entstehen, wie man sich einen Amerikaner vorstellt, einen Ausländer oder einen chinesischen Exhibitionisten.
 
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© Jüdisches Museum Wien
 
Warum ich geschlossen in der Vitrine liege? Das fragten Schüler während eines Workshops. Sie sollten in Kleingruppen ein Objekt aussuchen, das ihnen gefällt, das ihnen nicht gefällt, das sie nicht verstehen oder zu dem sie aus sonst einem Grund eine Frage haben. Die jungen Herren waren recht resolut und fanden es nachgerade unverständlich, ein Tagebuch der vornehmen gnädigen Frau Schey nicht offen auszustellen? Die Vitrine sei zu klein, erklärte man ihnen. Man hätte eine größere Vitrine bauen können. Stimmt. Es ist vermutlich in Kurrentschrift verfasst. Das kann man nicht lesen, wurde weiter erklärt. Nun, es würde bestimmt jemand im Museum in der Lage sein, das zu lesen und zu transkribieren? Stimmt ebenfalls. Wenn nun das berühmte Ephrussi Familien-Archiv dem Jüdischen Museum zum Geschenk gemacht wurde, könnte man wohl erwarten, dass es offen liegt und zumindest ein bisschen Text übersetzt wurde? Stimmt auch. Aber ich bin ein Tagebuch und womöglich sind in mir ganz persönliche, intime Details verzeichnet, die Evelina Schey, Emmy Ephrussis Mutter, nicht mit anderen Leuten hätte teilen wollen? Stimmt unbedingt. Wozu gibt es denn sonst Tagebücher? Bei aller Diskretion darf ich verraten, ich habe ein Vorwort und es gibt immer wieder Durchstreichungen ...
 
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© Bundesmobilienverwaltung
 
Wie viele Ecken hat ein Davidstern? Weniger als acht. Dies ist also kein Davidstern. Es ist Dekor auf einer wunderschönen Tischplatte, welche von Theophil Hansen für das Palais Ephrussi gestaltet wurde. Theophil Hansen hatte in Athen studiert und war begeistert von der klassischen griechischen Kunst, natürlich wusste er auch, dass die acht Ecken für die vier Jahreszeiten und die vier Himmelsrichtungen stehen. Der Vogel auf der Tischplatte weiß das sehr zu schätzen, er kann zu allen Jahreszeiten überallhin. Ob nun die Weintrauben dreidimensional sind oder nur so aussehen, wurde im Rahmen einer Führung für die Juweliere Köchert geklärt. Um das Tischchen stand ein knappes Dutzend Fachleute, beugte sich über die Platte, ging in die Hocke und fachsimpelte über die Weintrauben, die lediglich den Anschein des Dreidimensionalen machen. Tja, so kann man sich täuschen. Ich habe darauf nie geachtet. Nicht im Palais Ephrussi und auch nicht im Bundesmobiliendepot, wo ich eigentlich wohne, wenn ich nicht in Ausstellungen bin. Dass Theophil Hansen nicht nur ein berühmter Ringstraßen-Architekt war, sondern auch das Juwelier-Geschäft am Neuen Markt entworfen hatte, wusste ich auch nicht. Ausstellungen bilden ungemein!