29. August 2022
Aktuelles

In Memoriam Lily Renée (1921-2022)

von Sabine Apostolo & Michael Freund
© wulz.cc
Vor über 101 Jahren wurde Lily Renée, die später als Pionierin der Comic-Zeichnerinnen gefeiert wurde, als Lily Renée Willheim in Wien geboren. 2019 widmete das Jüdische Museum Wien ihr und zwei weiteren Künstlern die Ausstellung „Die drei mit dem Stift“. Am 24. August dieses Jahres verstarb sie in New York.

Zeichnen und das Erschaffen von Welten setzte Lily Renée bereits sehr früh als Fluchtstrategie ein: Der Langeweile des Aufwachsens als Einzelkind in einer gutbürgerlichen Wiener jüdischen Familie entfloh sie durch das Entwerfen von Phantasien, die sie auch gleich zu Papier brachte. Dies sollte ihr später sehr zugutekommen. Nachdem ihr nach dem „Anschluss“ die Flucht aus Wien mittels eines Kindertransports geglückt war, konnte sie nach einigen Monaten in Großbritannien in die USA gelangen, wohin bereits ihre Eltern geflüchtet waren. In New York schlug sich die Familie zunächst mit Arbeiten aller Art durch, Lily Renée nahm verschiedene Mal- und Modeljobs an. Der Durchbruch kam, als sie von dem damals florierenden Comics-Verlag Fiction House nach einer kurzen Probezeit aufgenommen wurde. Obwohl die damals knapp 21-Jährige von Comics eigentlich keine Ahnung hatte und die einzige Frau unter den vielen angestellten Zeichnern war, gelang ihr bald eine sagenhafte Karriere. Nach und nach übernahm sie immer mehr Comics und brachte sie zur großen Beliebtheit. Ihr größter Erfolg war Señorita Rio, eine Geheimagentin, die – getarnt als Hollywood-Starlet und Tänzerin – die Nazis bekämpfte. Dass die Entwürfe von einer Frau kamen, ahnte niemand, daher bekam sie oft Fanbriefe mit der Anrede „Dear Mr. Renée“.

Comics waren für Lily Renée aber nicht der Kern ihrer Arbeit und ihrer Ambitionen, und nach einem guten Jahrzehnt verließ sie die Szene. Sie heiratete Randolph Phillips, mit dem sie zwei Kinder hatte. Lily Renée zeichnete weiter, unter anderem ein Kinderbuch, das in den USA nicht veröffentlicht wurde, weil es – so der Verlag – „zu europäisch“ war. Ihre alte Heimat besuchte sie lange nicht. In einem Interview erklärte sie einmal die Bedeutung ihres ursprünglichen Nachnamens: „Willheim means I want to go home“.

Wir hatten die Ehre, Lily Renée im Laufe der Ausstellungsvorbereitungen für „Die drei mit dem Stift“, bei der sie eine der Protagonist:innen war, kennenzulernen. Zur Eröffnung kam die damals 97-Jährige persönlich nach Wien und sah zum ersten Mal zu ihrer großen Freude ihr Kinderbuch Red is the Heart in gedruckter Form, das wir anlässlich der Ausstellung im Eigenverlag des Jüdischen Museum Wiens veröffentlichten. Ihren Geburtstag konnten wir kurz nach dem Eröffnungsabend feiern, besonders freute sie sich über etwas, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr getrunken hatte: ein Glas Himbeer-Soda.

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© wulz.cc
Eröffnung Ausstellung "Die drei mit dem Stift" am 7. Mai 2019, Lily Renée blättert in "Red Is the Heart".

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© Lily Renée Collection
Lily Renée, ca. 1941, New York
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© Elisabeth Gottfried
Lily Renée, 1940er, New York
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© Privat
Titelseite, Comic Strip Señorita Rio, ca. 1943

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© Privat
Doppelseite, Comic Strip Señorita Rio, ca. 1943
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© Lily Renée Collection
Selbstportrait mit ihrem Ehemann Randolph Phillips, 1953
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© Österreichisches Generalkonsulat
Überreichung des Goldenen Ehrenzeichens für die Verdienste um die Republik Österreich im Österreichischen Generalkonsulat in New York, 27. September 2018, Lily Renée (Mitte) mit Sohn Rick (links) und Tochter Nina (rechts)
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© Allison Phillips
Überreichung des Goldenen Ehrenzeichens für die Verdienste um die Republik Österreich im Österreichischen Generalkonsulat in New York, 27. September 2018, Lily Renée (Mitte) mit Sohn Rick (links) und Tochter Nina (rechts)
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© Allison Phillips
Überreichung des Goldenen Ehrenzeichens für die Verdienste um die Republik Österreich im Österreichischen Generalkonsulat in New York, 27. September 2018, Lily Renée mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen