13. Januar 2023
Unter der Lupe

Das eloquente Schweigen der Elisa Springer

von Sabine Apostolo
© Fondazione Springer A-24020
Am 24. Jänner 2023 eröffnet im Österreichischen Kulturforum Rom eine Ausstellung über Elisa Springer. In Österreich ist sie kaum bekannt, in Italien verhält sich das anders. Ihr Buch Il silenzio die Vivi ist hundertausendfach verkauft worden. So manchem ist sie durch TV-Auftritte, Dokumentation oder gar durch ein Zeitzeugengespräch in der Schule bekannt. Denn die in Österreich geborene und aufgewachsene Elisa Springer war eine der wichtigsten und aktivsten Zeitzeug:innen Italiens.

Die enge Verbindung zum südlichen Nachbarland begann mit der Selbstlosigkeit eines Unbekannten: Am 26. August 1939 geht Elisa Springer mit Eliezer Alfassa eine Scheinehe im Wiener Stadttempel ein und bekommt dadurch die italienische Staatsbürgerschaft. Die Scheinehe ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine immer wieder genutzte Fluchtstrategie für Jüdinnen, auch wenn sie nicht ohne Gefahren ist. Viele Männer erkennen darin ein Geschäftsmodell und verlangen für eine Scheinehe Geld, andere nutzen die rechtliche Abhängigkeit der Frauen in der Ehe aus und so manche muss nicht nur vor den Natzionalsozialist:innen fliehen, sondern auch vor dem Ehemann.

Familie Bauer-Springer Lotte und Lizzy Bauer, Armin Springer, Elkan Bauer, Sidonie Springer, Sofie Bauer. Wien, 1930er-Jahre:
© Fondazione Springer A-24020
Familie Bauer-Springer
Lotte und Lizzy Bauer, Armin Springer, Elkan Bauer, Sidonie Springer, Sofie Bauer. Wien, 1930er-Jahre
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© Fondazione Springer A-24020
Elisa Springer und Guglielmo Sammarco mit ihrem Sohn Silvio. Bologna, 1948
Elisa Springer hat diesbezüglich Glück, Eliezer Alfassa heiratet sie aus Mitleid. Wie gefährdet ihr Leben ist, weiß sie zu diesem Zeitpunkt nur allzu gut. Ihr Vater wurde bereits im Juni 1938 verhaftet und deportiert, im Dezember erhielten Elisa und ihre Mutter Sidonie seine Asche aus dem KZ Buchenwald zugesandt. Im Herbst 1939 fliehen die beiden zu Verwandten nach Ungarn. Elisa kann als Italienerin unbehelligt mit dem Zug reisen, ihre Mutter Sidonie muss mit einem Schlepper über die Donau und wird dann beim Grenzübertritt verraten. Nur durch diplomatisches Geschick und Kontakte des Onkels, darf sie einreisen. Nach sechs Monaten läuft die Aufenthaltsbewilligung für Elisa Springer ab und sie beschließt, in ihre offizielle Heimat Italien zu gehen, wo sie im Juni 1940 in Mailand ankommt. Ihre Mutter muss sie zurücklassen, bis heute ist ihr Schicksal unbekannt, ihr letztes Lebenszeichen ist ein Brief aus Garany 1940.

In Mailand schlägt sie sich als Übersetzerin und Verkäuferin durch, zeitweise muss sie auch zum Arbeitsdienst. Als es im Herbst 1943 auch für Jüdinnen und Juden in Italien immer gefährlicher wird, bekommt sie von Partisan:innen gefälschte Papiere: „Elisa Bianchi, geboren in Mailand, Religion: katholisch.“ Doch gerade wegen dieses Kontakts wird sie denunziert und verhaftet. Nach mehreren Wochen in italienischen Gefängnissen wird sie nach Auschwitz deportiert. Sie schafft es – vor allem wegen ihrer Sprachkenntnisse – drei Monate in Auschwitz und in Folge die Lager Bergen-Belsen, Raguhn (ein Außenlager von Buchenwald) und Theresienstadt zu überleben.

Nach der Befreiung kehrt sie in ihre Geburtsstadt zurück, Wien ist für sie aber keine Heimat mehr: der Großteil ihrer Familie ist ermordet worden, als Überlebende, Gezeichnete und Italienerin stößt sie auf Ablehnung und findet keine Arbeit. Also geht sie wieder nach Italien und lernt dort ihren zweiten Ehemann kennen. Sie geht mit ihm in dessen Heimat in Süditalien und passt sich seinem Leben und seiner Religion an. Über ihre Erlebnisse oder nur über die Tatsache, dass sie Jüdin ist, spricht sie nicht. Sie hätte weder in der Familie noch in der Enge des Dorfes Zuhörer:innen gefunden.
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© Fondazione Springer A-24020
Elisa Springer in der Synagoge in der Seitenstettengasse, mehr als 40 Jahre nach ihrer dort geschlossenen Scheinehe. Wien, 2003

Erst nach seinem Tod und mit Hilfe ihres Sohnes beginnt Elisa Springer zu erzählen. Sie schafft es, nicht nur das italienische Lese- und Fernsehpublikum zu erreichen, sondern auch die Schüler:innen nachhaltig zu beeindrucken. Diese haben ihr nicht nur zahlreiche Briefe geschrieben, sondern ihr sogar Gedichte gewidmet. Vielleicht kann man bei der Vorstellung von Gedichte verfassenden Kindern und Jugendlichen erahnen, wie bewegend und nachhaltig die Eloquenz Elisa Springers gewesen sein muss. Die widersprüchliche Formulierung des „eloquenten Schweigen“ stammt von Simone Bandirali. Damit brachte er die beiden Widersprüche in Elisas Leben auf den Punkt.

Die Ausstellung wurde im Auftrag des Jüdischen Museum Wiens in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Rom und der Fondazione Springer A-24020 kuratiert. Die Geschichte von Elisa Springer war bereits Teil der Ausstellung „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil“, die 2018 im Jüdischen Museum Wien zu sehen war.