31. Mai 2022
Unter der Lupe

Die Sphinx und das Krokodil verabschieden sich

von Hannah Landsmann
© Jüdisches Museum Wien

Sehr geehrte gnädige Frau, wie geht es Ihnen denn nun, nachdem Sie einige Monate hier im ersten Stock des Jüdischen Museums verbracht haben und alle Besucher:innen – es waren nicht wenige – angelächelt haben?

Großartig! Einfach großartig!! Und Sie hatten Recht – bei Führungen kann man eine Menge lernen und so kam auch manches in meiner Erinnerung wieder zurück...

Und was werden Sie nun tun – mit all den Erinnerungen?

Nun, zunächst muss ich wohl Bericht erstatten. Sie wissen, mein Gegenüber von damals im Garten des Palais von Albert Rothschild ist ja immer noch oder wieder mein Gegenüber. In einem Privatgarten steht dieses Gegenüber und ich freue mich, alles erzählen zu können.

Ihr Gegenüber freut sich schon auf Ihre Rückkehr?

Das hoffe ich natürlich. Bei einer Führung zeigte eine Dame ein Foto von „unserem“ Garten und meinem Gegenüber. Diese Dame erklärte beim Zeigen des Fotos auf Ihrem Handy: „Die Freundin ist schon ganz gespannt.“ Die Welt ist ein solches Dorf! Diese Dame mit dem Foto kennt den Besitzer des Gartens, in dem wir wohnen. Wem werden Sie eigentlich erzählen?

Na, meinen „Freunden“ natürlich!

Ah, anderen Krokodile?

Aber nein, wo denken Sie hin! Ich „wohne“ ja in einem Büro im Naturhistorischen Museum. Dass das das Büro der Kulturvermittlung ist – oder heißt es dort Naturvermittlung? – wusste ich ja, aber wie wichtig Kulturvermittlung ist, habe ich jetzt einige Monate aus nächster Nähe erleben können.
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© David Bohmann
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© Jüdisches Museum Wien
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© David Bohmann
Und was hat Sie besonders fasziniert?

Sehr cool war eine Führung für Kinder. Ein Krokodil-Kollege aus Stoff hat seine Lieblingsobjekte gezeigt. Weil wir Krokodile ja ganz oft die blöde Rolle haben – wir müssen im Kaspertheater immer beißen oder jemandes Hut stehlen, hat es uns sehr gefallen, dass wir einmal eine Hauptrolle hatten.

Das verstehe ich. Und ich hätte nicht gedacht, dass man Führungen für blinde Besucher:innen so gestalten kann, dass alle anderen Besucher:innen, auch die, die alles sehen können, zuhören und zuschauen wollen! Alle Gäste der Ausstellung durften mich berühren, Alberts Frau Bettina aber nur von blinden Besucher:innen.

Albert, der Sie und Ihre Freundin im Garten seines Palais stehen hatte.

Ja, genau der. Bettina hatte UNGLAUBLICH lange Haare und eine komplizierte Hochsteckfrisur. Wenn man eine Büste ist, tut das aber nichts zur Sache, denn man wird genau nur einmal frisiert. Bettina starb mit erst 34 Jahren an Brustkrebs, darüber war Albert sehr traurig. Diese Traurigkeit hat ihn dazu gebracht, in Erinnerung an seine verstorbene Frau ein Krankenhaus zu gründen, in dem ALLE Frauen – egal wie reich oder arm sie waren oder aus welchem Land sie kamen, ihre gynäkologischen Probleme versorgen lassen konnten. Der arme Albert. Da wird ihm das Eislaufen vielleicht auch keinen Spaß mehr bemacht haben?

Sie wissen das? Dass Albert wie ein Eiskunstläufer im Wiener Eislaufverein seine Runden drehte?

Natürlich. Ich weiß auch, dass er das Jagen blöd fand. Sympathisch, nicht? Er ging natürlich auf Jagd, weil das zu seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen gehörte, aber er schoss keine Tiere. Er machte Fotos.

Foto-Shooting, sehr sympathisch!

Allerdings! In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem großen Palais, in dessen Garten meine Freundin und ich standen, war das „Petit Palais“ von Albert.

Auch mit Garten und vermutlich auch kaputt.

Aber nein. Dieses Gebäude steht noch und es ist der Standort der brasilianischen Residenz.

Wirklich?

Ja, natürlich. Ich erfinde das doch nicht!

Verzeihung. Manches klingt aber so, als hätte es jemand erfunden...

Nun, was denn zum Beispiel?

Dass in Nathaniel Rothschilds Garten auf der Hohen Warte ein Fußball Club gegründet wurde. Und nicht irgendeiner. Der erste in Wien. Und die trainieren immer noch auf der Hohen Warte.

Tja, die Rothschilds waren sehr vielfältig. Und nicht alle waren Banker oder Eisenbahngründer und Schwerindustrieentwickler. Und auch nicht alle sammelten Kunst.

Wen meinen Sie?

Charles. Der Ehemann von Rozika. Der war Zoologe und sein Spezialgebiet waren Schmetterlinge.

Wie nett! Vielleicht wäre er ein ganz schlechter Bankier gewesen oder hätte beim Eisenbahngründen viel schneller aufgegeben. Das soll ja nicht so einfach gewesen sein.

In der Tat. Aber kommen wir noch einmal zu Albert und zu dem kleinen Palais. Der Witwer Albert hatte ganz genaue Pläne, wo in diesem Palais die Nanny wohnen soll, wo die Kinder ihre Zimmer haben, wo die Mädchen spielen und wo die Burschen. Er hat sich vielleicht gedacht, dass er es nach dem Tod seiner Bettina für die Kinder und die Enkelkinder ganz besonders nett machen muss.

Sympathisch. Sehr sympathisch. Aber, mit Verlaub Gnädigste, woher wissen Sie das denn?

Sie rieten mir, bei den Führungen zuzuhören. Aber zu Louis Rothschild war man 1938 nicht sympathisch. Verhaften, einsperren, 14 Monate in Geiselhaft nehmen, das ist wirklich nicht nett. Und trotzdem wollte Louis Rothschild nach seinem Tod 1955 in Wien beerdigt werden.

Oh, wirklich? Ich weiß nicht, ob ich das gewollt hätte. Ich hätte mir wohl einen sympathischeren Ort ausgesucht.

Aber er fühlte sich anscheinend immer noch oder gerade deshalb in Wien zuhause. Sympathie hin oder her.


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© David Bohmann
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© David Bohmann
Was haben Sie denn noch über Albert herausfinden können?

Dass er ein Kaffee-Service aus unzähligen Teilen hatte. Sehr schick, in Blau und Gold gehalten, seine Initialen AR kann man genau erkennen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die unzähligen Teile in der Ausstellung Platz hatten?

Keine Sorge, das Geschirr ist nicht mehr vollständig. Das Jüdische Museum hat 1994 das, was davon übrig war, in einer Auktion gekauft. Wenn die Ausstellung zu Ende ist und wir beide das Museum verlassen haben werden, ist das Geschirr im Schaudepot zu sehen. Es ist schon seit 1994 im Jüdischen Museum „zuhause“.

Dann bleibt ja etwas von den Wiener Rothschilds übrig?

Allerdings! Neben dem Katalog und einigen klugen Büchern über die Wiener Rothschilds gibt es in der Dauerausstellung nicht nur das Geschirr.

Was, wirklich?

Ja.

Zu schade, dass ich das nicht sehen kann.

Das ist wirklich schade. Aber wenn es nicht da wäre, wäre es viel schlimmer. Was in einem Museum nicht ausgestellt ist, kann nicht erzählt werden.