20. März 2023
Nachgefragt

Roman Grinberg im Interview

von Marcus G. Patka
© Ouriel Morgensztern
Lieber Roman Grinberg, wo liegen Deine Wurzeln?

Ich bin in der Sowjetunion geboren, in einem Staat, den es nicht mehr gibt. Mit 10 Jahren bin ich mit den Eltern und zwei jüngeren Geschwistern nach Israel ausgewandert. Wir haben dort knapp drei Jahre gelebt, doch mein Vater hat das Klima nicht vertragen. Auch konnte er als Musiker nur sehr schwer dort Fuss fassen. Also sind wir nach einigen Umwegen schließlich in Wien gelandet. Beide Eltern waren Musiker, daher habe ich auch diesen Beruf ergriffen. Heute arbeite ich in einem sehr breiten Feld der jüdischen Musik, aber auch als Schauspieler, habe in einigen Filmen und Theaterstücken mitgewirkt und bin passionierter Jiddischist. Nicht nur die Sprache, die ganze Kultur des ehemaligen „Yiddish Land“ liegt mir sehr am Herzen.

Wie viele Berufe haben Sie?

Nun, ich arbeite als Pianist, Komponist, Chorleiter, Orchesterleiter, Band Leader, Sänger, und auch als Humorist und Entertainer. Ich bin aber auch als Festivalveranstalter tätig. Ein Mensch sollte alles, was er je gelernt hat, in seine Arbeit einfließen zu lassen, sonst wäre es ja eine Vergeudung. Daher verbinde ich alles, was ich kann. Meine Eltern haben mich damals in die Handelsakademie geschickt, das nützt mir heute beim Organisieren von Festivals. Man kann als Künstler natürlich auch nur in den Wolken schweben - hat durchaus seine Berechtigung. Aber das ist nichts für mich. Ich definiere mich eher als Berufsmusiker.

Welche Ensembles haben Sie aktuell?

Da ist einmal der Wiener Jüdische Chor, dann das Wiener Klezmer Orchester, das ich mit Sasha Danilov zusammen leite, und mehrere andere Gruppen in verschiedenen Besetzungen. Ein sehr spannendes Projekt ist Klezmetropol, das jiddische Musik im Bigband-Sound interpretiert. Wir spielen eigentlich nur zwei Mal pro Jahr. Demnächst wieder im Rahmen des Yiddish Culture Festivals, dessen Leitung ich 2017 von Prof. Kurt Rosenkranz übernommen habe.

Wie sieht das aktuelle Festival-Programm aus?

Das Festival wird am 23. März im Ehrbar-Saal eröffnet, und zwar vom Wiener Jüdischen Chor gemeinsam mit der Schalom-Band, in der geistliche Würdenträger verschiedener Religionen mitwirken. Schlagzeug spielt der evangelische Bischof Michael Bünker und am Klavier sitzt der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz Peter Schipka. Hinzu kommt unser Oberkantor Shmuel Barzilai und, wenn alles klappt, auch Paul Chaim Eisenberg. Gemeinsam singen und spielen wir für den Weltfrieden. Das Wiener Klezmer Orchester spielt am 26. März im Theater Akzent. Gerne möchte ich noch auf die Veranstaltungen hier im Jüdischen Museum Wien mit dem Schwerpunkt „Spot on Yiddish Divas“ verweisen: Am 2. April singt Ethel Merhaut Lieder zwischen Chanson und Jazz, am 4. April singen Shura Lipovsky - die jiddische Grand Dame aus Amsterdam und Lloica Czackis - eine französisch-argentinische Sängerin und Schauspielerin. Den Abschluss dieser Serie bildet am 20. April Sharon Brauner, begleitet vom Karsten Troyke-Trio. Alle diese Künstlerinnen gehören heute zu den Stars der internationalen jiddischen Szene.

Wie geht es einem gebürtigen „Sowjetmenschen“ mit dem Krieg in der Ukraine? Sie haben doch sicher Freunde auf beiden Seiten.

Es geht mir furchtbar schlecht damit! Ich blicke zurück auf jahrelange Freundschaften auf beiden Seiten, auf unzählige Klezmer-Festivals in Moskau, Kiew, Odessa, St. Petersburg oder auch Lemberg und Czernowitz, wo Russen und Ukrainer zusammen jüdische Musik gemacht haben. Es ist eine große Stille eingetreten. Die Russen haben Angst, äußern sich nicht, bei den Ukrainern ist Verbitterung und Hass entstanden. Freundschaften sind zerbrochen. Ich habe einen ukrainischen Musikerkollegen in Wien, seine Frau ist gebürtige Russin, jeder von beiden hat einen jüngeren Bruder und die stehen sich nun als feindliche Soldaten gegenüber. Unvorstellbar, was da passiert. Ein Freund aus dem Orchester hat je ein russisches und ein ukrainisches Elternteil. Diese Menschen sind innerlich völlig zerrissen und Millionen anderen geht es genauso. Früher haben sie sich „Brüdervölker“ genannt… Derzeit habe ich nur einen Wunsch: dass es wieder Frieden gebe, und dass alte Freundschaften wieder aufleben dürfen. Für uns hier ist das alles bitter, aber kein Vergleich mit dem Leid der Mütter, die ihre Söhne in einem völlig sinnlosen Krieg verloren haben.