22. Dezember 2021
Feste Feiern

Weihnachten im Archiv

von Hannah Landsmann
© Jüdisches Museum Wien
Würden Sie denken, dass der Begriff „Weihnachten“ im Inventarsystem eines jüdischen Museums überhaupt vorkommt, wenn Jüdinnen und Juden überall auf der Welt – heuer vom 28. November bis zum 6. Dezember – Chanukka feiern? 
Der Suchbegriff „Weihnachten“ in der Objektdatenbank unseres Museums liefert 36 Treffer. Bei einer an die 30.000 reichenden Anzahl an inventarisierten Objekten, ist das eine sehr kleine Zahl. Gerade deshalb lohnt es sich, einige dieser Weihnachts-Objekte vor den Vorhang zu holen:

„Darling Elizabeth - this is to wish you all a Merry Christmas - a Happy New Year. I hope with all my heart that 1948 will be your lucky year, will see the end of all your worries. - I am sending you a smiling picture, for a change, on which you will note that Freddie is not wearing a coat although it was taken on what for Mexico was a cold winter day. - Our fondest love to you all. Your very loving Giselda (Don't write back saying that I look old. Love Alfredo)”

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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien
Diese Fotografie, auf der rückseitig der oben zitierte Text zu lesen ist, befindet sich gerade in der Ausstellung über die berühmte Familie Ephrussi und den vielleicht noch berühmteren Hasen im New Yorker jüdischen Museum. Gisela, die zweite Tochter von Viktor und Emmy, die 1920 im Wiener Stadttempel ihren Alfredo geheiratet hatte, flüchtete mit ihrer Familie nach Spanien und Südamerika, während Elisabeth in England ein neues Zuhause fand. Ihr aus Wien vertriebener Vater Viktor starb dort im März 1945, ohne seine Heimat jemals wieder betreten zu haben. Elisabeth ist die Großmutter von Edmund de Waal, der mit seinem Vater Viktor de Waal, ein hoher Würdenträger der anglikanischen Kirche, 2017 einen Teil des Familienarchivs dem Jüdischen Museum Wien als Schenkung überlassen hat. Der berühmte Hase ist ein japanisches Netsuke, welches mit 157 anderen Objekten seiner Art dem Museum für zehn Jahre als Leihgabe überantwortet wurde. Die Juristin Elisabeth de Waal setzte sich für die Rückgabe der der geraubten Güter ein, 1950 erhielt die Familie das Palais an der Wiener Ringstraße restituiert.

Paul Peter Porges, unseren Besucherinnen und Besuchern vielleicht besser unter seinem Spitz- und Künstlernamen PPP bekannt, ist in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums vertreten und derzeit auch in der Wechselausstellung „Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“ im Museum Judenplatz. Der über die Jahre gewachsene sehr freundschaftliche Kontakt zur Familie Porges hat der Museumssammlung 488 Schenkungen beschert, darunter eine Fotografie von Jenny Porges, Paul Peters Mutter, aus dem Jahr 1940. Rückseitig schrieb sie: „Deine Mutter // Weihnachten 1940 // Christmas 1940“. Paul Peter wurde 1939 mit einem Kindertransport nach Frankreich gerettet, die Eltern Jenny und Gustav wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1945 befreit, um ein Jahr später in die USA auszuwandern. Dort wurde Paul Peter Porges, der über die Schweiz nach Amerika gelangt war, ein erfolgreicher Cartoonist, der für Mad Magazine, den New Yorker und sogar den Playboy zeichnete. PPP starb 2016 in Kingston, Jamaica.

Nach Amerika gelangte auch die Schönheitserfinderin Helena Rubinstein, nachdem sie ihrer Heimatstadt Krakau den Rücken gekehrt hatte und in Melbourne, Wien, Paris, London, New York und Tel Aviv kleinere und größere Schönheitsuniversen erschuf. In der Ausstellung über die „Schönheitserfinderin“, die vom 18. Oktober 2017 bis 6. Mai 2018 im Museum Judenplatz zu sehen war, lernten wir eine dynamische Frau kennen, die man gleichzeitig sympathisch, kurios und ein wenig furchteinflößend finden konnte. Nicht nur verschickte die aus einem orthodoxen jüdischen Haushalt stammende Frau „Seasons greetings“ zu Weihnachten, sie verschmähte auch Speisen nicht, die zwar nicht koscher waren, aber zum Wegwerfen viel zu schade. In „Madame. An intimate Biography of Helena Rubinstein“, die ihr persönlicher Assistent Patrick O’Higgins publizierte, sind diese und andere Geschichten zu finden.

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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien
Diese Grußkarte aus den 1930er-Jahren wurde neben anderen Objekten für die schon erwähnte Ausstellung im Museum Judenplatz angekauft, die auch im Jüdischen Museum in Paris gezeigt wurde.


Die schönste Frau von Hollywood feierte 1952 mit ihren beiden Kindern Weihnachten. Oder tat zumindest so, denn viele dieser „Homestories“ waren inszeniert. Es wurde nicht fotografiert, was wirklich war, sondern wie es sein sollte oder wie man es die Öffentlichkeit glauben machen wollte. Nach der Ausstellung über die „Lady Bluetooth“, die von 27. November 2019 bis 25. Dezember 2020 im Museum Judenplatz zu sehen war, kauften die US Friends of the Jewish Museum Vienna, der amerikanische Freundeskreis des Jüdischen Museums Wien, im März 2021 den Nachlass der aus Wien stammenden Hollywood Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr an. Neben Fotos, persönlichen Briefen, Dokumenten und Kleidungsstücken überlässt Anthony Loder, der Sohn von Hedy Lamarr, diese Erinnerungen an seine Mutter wieder Wien, der von ihr so geliebten Heimatstadt, in die sie trotzdem oder gerade deshalb nur auf Besuch zurückkehrte.

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© Jüdisches Museum Wien
Heinrich und Anni Sussmann kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft nach Wien zurück. Der 1904 in Tarnopol geborene Künstler übersiedelte 1914 nach Wien, wo er u.a. bei Oskar Strnad studierte. 1929 ging er nach Berlin, von wo er 1933 wieder nach Wien zurückkehrte, um nach dem „Anschluss“ über Prag und Zürich nach Frankreich zu flüchten, wo er sich der Résistance anschloss. Heinrich und Anni Sussmann überlebten das Konzentrationslager Auschwitz, wohin sie 1944 deportiert worden waren. 1945 kamen er und seine Frau nach Wien zurück, in seinem künstlerischen Werk setzte sich der Grafiker fortan auch mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Schoah auseinander. Die „Sammlung Sussmann“ umfasst einen künstlerischen Teilnachlass von Heinrich Susmann, der sich seit 1992 im Jüdischen Museum befindet und im Archiv aufbewahrt wird. Die 1989 gegründete Anni und Heinrich Sussmann Foundation fördert dem Testament Sussmanns entsprechend Künstlerinnen und Künstler, die sich den Idealen von Demokratie und Antifaschismus verschrieben haben.

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© Jüdisches Museum Wien
Dass sich Heinrich Sussmann 1956 als Weihnachtsmann darstellt, mag vielleicht nicht in dieses Bild passen, es zeigt aber, dass manches anders ist, als man denkt. Und dass sehr unterschiedliche Dinge manchmal doch zusammenpassen. Wenn Sie „Maos Zur“ kennen, ein traditionelles Chanukka-Lied, wissen Sie vielleicht auch, dass es auf die Melodie eines Kirchenliedes aus dem 15. Jahrhundert gesungen wird. Die Dinge haben immer zwei Seiten. Die meisten sogar mehr.

Was immer Sie feiern – schöne Feiertage!