22. August 2024
Unter der Lupe

Hitze? Hitze!

von Hannah Landsmann
© Sebastian Gansrigler
Worauf man bei sommerlich heißen Temperaturen kommen kann? Beispielsweise das Museumsinventar auf entsprechende Begriffe zu prüfen. Dies führt zu 93 Treffern bei Eingabe des Suchbegriffs „Sommer“, die meist auf die Jahreszeit hinweisen, zuweilen aber auch den Nachnamen Sommer meinen. Der Begriff „Sommerfrische“ liefert zehn Treffer, doch anstatt uns damit Abkühlung zu verschaffen, wurde der Objektbestand des Jüdischen Museums Wien noch auf das Stichwort „Hitze“ geprüft: vier Treffer, nicht dramatisch und zur klimatischen Hitze passt nur ein Objekt, die anderen betreffen Leuchter, die durch Hitze beschädigt sind und ein Zitat aus dem 1. Buch Mose.

Ignaz Feuerlicht kommt mit der Hitze gut zurecht. Er schreibt: Liebe Henny, nach einer langen Reise am Atlantik entlang und durch Marokko bin ich vor 4 Wochen in Boghari angekommen. Eine ziemlich interessante kleine arabische Stadt, die auch eine jüdische Gemeinde hat. Die Lage unseres Lagers ist ausgezeichnet. Das Essen ist außergewöhnlich und gut, die Hitze des Tages macht mir nichts, kurz gesagt: mir geht's gut. Wir wissen nicht, was man mit uns machen wird. Wir warten, wir haben keine Arbeit. Es gibt auch Spanier hier und ich spreche schon ganz gut spanisch. Ich hoffe, dass es Dir gut geht und dass du gute Nachrichten von den deinen hast. Seit Monaten habe ich keinen einzigen Brief von meinen Verwandten. Trotz allem behalte ich die Hoffnung und das Vertrauen und ich bin überzeugt, dass Du das auch tust. Schreib mir bald und empfange meine besten Grüße, Feuerlicht

In den ersten Zeilen könnte man glauben, er sei auf Urlaub und es handle sich um ein Ferienlager. Herr Feuerlicht ist aus Wien geflüchtet und wartet in diesem Lager in Nordafrika auf eine mögliche Überfahrt in die USA. Die adressierte Henny heißt Henriette Rokeach und ist nach England geflüchtet, wo sie eine Ausbildung als Krankenschwester macht. Aus ihrem Tagebuch wissen wir unter anderem, dass das Wetter dort kühler ist. Ignaz Feuerlicht war ihr Lehrer am jüdischen Zwi Perez Gymnasium und es scheint, als wäre Henny in ihn verliebt gewesen, ein bisschen zumindest. Den hier zitierten Kartengruß hatte Ignaz Feuerlicht in französischer Sprache abgefasst. Aus Hennys Nachlass, der uns von ihrem Freund und Nachlassverwalter, dem britischen Anwalt Dr. Clive Ashwin, übergeben wurde, kam einiges an Korrespondenz, Fotos und Archivalien in den Bestand des Jüdischen Museums Wien. So wissen wir, dass Henny für manche Briefe an ihren ehemaligen Lehrer Entwürfe anfertigte. Henriette Rokeach, verheiratete Fishlock, war 1922 in Wien geboren worden.

Aus einem Brief von Paul Peter Porges an seine Tante Elli Wagschal wissen wir, dass es in Frankreich im März 1940 schon recht warm gewesen sein dürfte, denn der 13-jährige Paul Peter schreibt, dass er dem Wetter nicht widerstehen könne und deshalb aufhören müsse zu schreiben. Außerdem wisse er nicht, was er noch ausziehen könne. Die groben Verstöße gegen die Orthographie wurden für diesen Beitrag berichtigt. PPP – Spitz- und Künstlername – war mit seinem Bruder Kurt 1939 mit einem Kindertransport nach Frankreich geflüchtet. Über die Schweiz, wo er seine ebenfalls aus Wien stammende Frau Lucie kennenlernte, ging es in die USA, wo PPP ein bekannter Cartoonist wurde. Im Jüdischen Museum Wien zeigten wir im Jahr 2000 mit „Style and Humour“ Lucies Modewelt und PPPs Humor im Rahmen einer Ausstellung in der Dorotheergasse 11. Lucie und Paul Peter leben mittlerweile nicht mehr, die Familie Porges hat dem Museum aber nicht nur weitere Archivalien, Skizzen, Fotos und biografisches Material überlassen, auch der legendäre Pullover aus der Dauerausstellung ist als Schenkung von Vivette Porges, eine der beiden Töchter von Lucie und Paul Peter, nun Teil des Museumsbestandes.

Neben PPP waren auch Bil Spira und Lily Renée in der Ausstellung „Die drei mit dem Stift“ im Museum Judenplatz vertreten. Sucht man mit dem Suchbegriff Bil Spira im Inventar findet man 342 Einträge, keine Hitze, aber dreimal Sommer, darunter die Zeichnung eines jungen Paares, für die Beschreibung „im Sommer auf einer Wiese, beide mit Hut, er hat Packet unterm Arm“ kann die Fantasie bei dem Paket einfach Badesachen samt Decke und Lektüre ergänzen. Der 1913 in Wien geborene Wilhelm Spira flüchtete 1938 nach Frankreich, wo er unter dem Namen Bil Freier für Zeitungen zeichnete. 1940 floh er nach Marseille, wo er Mitarbeiter von Varian Fry, Leiter des „Emergency Rescue Committees“, wurde. Hier nutzte Bil Spira sein Zeichentalent, um Pässe für Verfolgte zu fälschen. 1941 wurde er von einem Spitzel verraten, verhaftet und vom Vichy-Regime ans Deutsche Reich ausgeliefert. Er überlebte einige Konzentrationslager und kehrte nach seiner Befreiung aus Theresienstadt 1945 nach Paris zurück. Die 2023 für Netflix produzierte Dramaserie „Transatlantic“ erzählt die Geschichte von Varian Fry und einigen berühmten Damen und Herren, die mit seiner und Bil Freier’s Hilfe in den 1940-ern aus Europa gerettet werden konnten. In der Rolle von Bill Spira ist der Schauspieler Nadiv Molcho zu sehen. Molcho? Ja. Nadiv ist einer vier Söhne von Samy und Haya Molcho. Ja, Pantomime und gutes Essen. Hilft womöglich auch bei Hitze. (Inv.Nr.27834)

PS: Zu Lily Renée gibt es bis auf den Hinweis zum Ausstellungskatalog und ihr Kinderbuch „Rot ist das Herz“, das im Rahmen der Ausstellung gedruckt wurde, keine Einträge im Museumsinventar. Sie hat mit allen bisher Genannten gemein, dass sie aus Wien flüchten musste. Als Lily Renée Wilheim gelangte sie als Kindertransportkind zunächst nach Großbritannien und folgte ihrer Familie in die USA. Bevor sie vom Comics-Verlag Fiction House als Zeichnerin aufgenommen wurde, nahm sie Model-Jobs an, unter anderen bei Lanz in der Fifth Avenue in New York, wo auch Salzburger Dirndlkleider angeboten wurden. Wenn Sie jetzt an Sommerfrische denken, hat Ihnen die Lektüre des Textes womöglich Kühlung verschafft? Wenn nicht schauen Sie einfach bei uns im Museum vorbei – unsere Räume sind klimatisiert und sorgen garantiert für Abkühlung.