27. August 2024
Aktuelles

Share Your Singer! – Gemeinsam weitere Geschichten vernetzen

von Caitlin Gura
© Emil Singer, Vienna: St. Charles, Radierung, ca. 1930, Schenkung Henry Isaacs

Emil Singers Radierungen sind pure #wienliebe. Der in Mähren geborene jüdische Künstler verstand es, seine Wahlheimat Wien von ihrer schönsten Seite einzufangen. Nicht nur Touristen, auch Einheimische kauften seine Werke. Betrachtet man seine Darstellungen der charmanten Schönlaterngasse oder Sonnenfelsgasse, so überkommt den Betrachter eine Welle der Sehnsucht nach einem Alt-Wien. Vielleicht ist diese Nostalgie der Grund, warum sich viele von Singers Werken angezogen fühlen. Vielleicht ist es eher auch die Tatsache, dass Singer ein Wien ohne „Wiener“ darstellte und damit Georg Kreislers „wienerfreies“ Wien aus seinem Wienerliedklassiker Wien ohne Wiener (1964) erfüllte.

Als sich herumsprach, dass das Jüdische Museum Wien eine Ausstellung mit Emil Singers Werken vorbereitet, meldeten sich Menschen aus Österreich und der ganzen Welt. Sie haben eine Radierung von Singer zu Hause! Könnte die für die Ausstellung nützlich sein? Während der Platz für die kleine Kabinettausstellung schon ziemlich begrenzt war, inspirierten die Angebote die Kuratorinnen Caitlin Gura und Daniela Pscheiden dazu, die Geschichten der Besitzer:innen zu sammeln. Wie kamen sie in den Besitz der Singer-Radierungen? War es ein Geschenk, ein Familienerbstück? Hatten die Besitzer:innen das Werk aufgehängt oder im Schrank versteckt?

Während der Platz für die kleine Kabinettausstellung schon ziemlich begrenzt war, inspirierten die Angebote die Kuratorinnen Caitlin Gura und Daniela Pscheiden dazu, die Geschichten der Besitzer:innen zu sammeln. Wie kamen sie in den Besitz der Singer-Radierungen? War es ein Geschenk, ein Familienerbstück? Hatten die Besitzer:innen das Werk aufgehängt oder im Schrank versteckt?


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© Emil Singer, Wien: Sievering, Radierung, ca. 1930, Schenkung Dr. Sandy Rikoon
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© Emil Singer, Am Hof, Radierung, ca. 1913, Schenkung Dr. Sandy Rikoon

Die Gespräche mit den Besitzer:innen brachten faszinierende Geschichten zu Tage. Eine Wienerin erinnerte sich, wie sie zur Geburt ihres ältesten Sohnes zu Weihnachten 1969 eine Singer-Radierung geschenkt bekam. Es war Singers Darstellung von Sievering. Das Werk bedeutete ihr viel, da ihre Familie schon lange in diesem Viertel lebte. Sie hatte dort sogar als Hebamme gearbeitet. Eine andere Geschichte, die dem Museum aus Kärnten zugetragen wurde, erzählte von der Entdeckung eines Druckes von Singers erster Radierung von Wien Am Hof auf dem Dachboden einer Villa, die versteigert wurde. Die dunkle Ironie der Geschichte liegt darin, dass das Anwesen einer Industriellenfamilie gehörte, die während des Naziregimes großen Profit machte.
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© Emil Singer, Waldbach im Schnee, Radierung, ca. 1913, Schenkung Henry Isaacs
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© Emil Singer, Wien: Kirche bei der alten Universität, Radierung, ca. 1914, Schenkung Henry Isaacs
Unsere Kolleg:innen der Israelitischen Cultusgemeinde Bibliothek in Zürich erzählten, dass sie Singers Radierung Waldbach im Schnee von einem Leser als Schenkung bekommen hatten, nachdem er sie in einer Schublade seines Elternhauses entdeckt hatte. Die Bibliotheksmitarbeiter:innen waren von der stillen Winterlandschaft begeistert und nahmen das Bild gerne an. Erst später erfuhren sie von der tragischen Ermordung des Künstlers im Holocaust. Sie ließen das Bild professionell rahmen und hängten es mit einer Gedenkplakette in der Bibliothek auf. Andere Besitzer:innen erwarben Singers Werke auf Auktionen oder Flohmärkten, entweder als Souvenir ihrer Reise nach Wien oder als Andenken an einen denkwürdigen Ort in der Stadt. Ein Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erwarb Singers Kirche bei der alten Universität, weil sie sein Bürogebäude zeigte, in dem er viele Jahre lang gearbeitet hatte.

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© Emil Singer, Wien: Michaelerkirche, Radierung, ca. 1923, Schenkung Henry Isaacs

Auch die Kuratorin Daniela Pscheiden besitzt eine Radierung von Emil Singer. Bei ihrem Als sie in ihr neues Haus zog und den Bereich um ihren Stiegenaufgang dekorieren wollte, entdeckte sie auf einem Flohmarkt mehrere Ansichten von Wien. Eine Radierung der Michaelerkirche sprach sie besonders an. Erst als sie später mit der Arbeit an der Kabinettausstellung begann, stellte sie fest, dass es sich um ein Werk von Emil Singer handelte.

Für Kuratorin Caitlin Gura war der Höhepunkt des Projekts das Treffen mit Harald Kaltenböck und Valeria Soleri zu Hause, um sie zu ihrer umfangreichen Sammlung von Emil Singer-Radierungen zu interviewen. Nachdem sie die von Axel Junghans' Biografie des Künstlers erworben hatten, ließen sie sich vom Leben des Künstlers und der Menschen, die ihn während des Zweiten Weltkriegs zu retten versuchten, inspirieren. Sie begannen, Singer-Werke zu sammeln, um sein Andenken in Wien lebendig zu halten.

Insgesamt zeigt das Projekt „Share Your Singer“ einen hoffnungsvollen Aspekt in dieser tragischen Geschichte des Holocaust. Nicht nur das Jüdische Museum Wien bewahrt die jüdische Geschichte Wiens, sondern jede/r, die/der sich von seinen Werken inspirieren lässt. Emil Singers Leben wurde im Holocaust ausgelöscht, aber sein Vermächtnis lebt heute weiter - dank Sammler:innen, Biograph:innen, Historiker:innen, Bibliothekar:innen und Ihnen. Dank dieser Bemühungen ist es uns gelungen noch mehr Erinnerungen an Emil Singer zu vernetzen.

Am Sonntag, den 1. September, ist die letzte Gelegenheit, Wiener Nostalgie. Vernetzte Erinnerungen an Emil Singer, zu besuchen.  Um 11:00 Uhr findet eine kombinierte Sonderführung durch diese Ausstellung und Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not mit der Kuratorin Caitlin Gura statt.

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© Emil Singer, Vienna: Belvedere, Radierung, ca. 1930, Schenkung Henry Isaacs