02. Dezember 2024

Gewalt gegen Frauen – eine True Crime Story aus Niederösterreich im 17. Jahrhundert

von Barbara Staudinger
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Die Frühe Neuzeit, also das 16. bis zum 18. Jahrhundert, gilt vor allem als eines: brutal. Es gab weder die Vorstellung, dass alle Menschen gleich sein könnten, noch gab es schwerere Strafen, die nicht über körperliche Züchtigung ausgetragen wurden. Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen waren nicht gleich, hatten nicht dieselben Rechte und selbstverständlich auch nicht dieselbe Ehre. Wer gegen diese gottgegebene Ordnung verstieß, wurde geschlagen: Bauern, Dienstleute, Juden, Kinder, Frauen.

Gewalt gehörte also zum Alltag und wurde als normal empfunden – aber auch das hatte seine Grenzen. Diese führen uns zum Beispiel ins frühneuzeitliche Niederösterreich, in einen Ort im Weinviertel, der im 17. Jahrhundert noch Schweinburg genannt wurde und heute Groß-Schweinbarth heißt. Im weiteren Einzugsgebiet von Wien gelegen, war dieser Ort, wie viele andere in Niederösterreich, auch Sitz einer jüdischen Gemeinde.

Bereits vor 1620, und damit im Vergleich zu anderen niederösterreichischen Gemeinden sehr früh, gab es einen Rabbiner. Zwischen 1652 und 1670, dem Jahr der Vertreibung aller Juden aus Wien und Niederösterreich, umfasste die jüdische Gemeinde zwischen 16 und 22 Haushaltsvorstände, was bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von sechs Personen insgesamt 96-132 Personen ausmachte. Im insgesamt doch recht kleinen Schweinburg, war das schon etwas. Die jüdische Bevölkerung lebte dabei nicht separiert, sondern in engster Nachbarschaft mit der christlichen Bevölkerung: Man teilte sich Hinterhöfe, Wohnhäuser und auch Zimmer. Weil alle so eng miteinander wohnten, kannte man sich, und wusste alles vom anderen, im Guten wie im Schlechten.

Das jüdische Ehepaar Samuel Hirschl und Hirschl Schlöglin lebte um 1650 Zaun an Zaun mit ihren christlichen Nachbarn Ciriac Atlaffer und seiner Frau Katharina. Sie teilten sich einen Hinterhof, kannten die jeweils andere Familie und liehen sich gegenseitig Dinge, wenn dies nötig war. Dass Ciriac Atlaffer seine Frau gelegentlich schlug, wussten alle, aber wie gesagt, dies war „normal“.
 
Eines Tages war es das jedoch nicht mehr. Als Hirschl Schlöglin nach Hause kam, erzählten ihr ihre Kinder, dass Altlaffer seine Frau im Hinterhof mit der Schnalle seines Gürtels so heftig geschlagen habe, dass das Blut hochgespritzt sei. In den Hinterhof eilend, sah sie Katharina am Boden kniend, ihr Kopf blutüberströmt. Hirschl Schlöglin rannte um Hilfe: zuerst zur erwachsenen Tochter der Verletzten, mit deren Hilfe sie Katharina in ihr Haus brachte, dann zum Bader, der Katharina verband, und schließlich um Stärkungsmittel. Letztendlich half nichts mehr, wenige Tage später erlag Katharina Altlaffer ihren Verletzungen und der Fall landete vor Gericht. Dass Frauen weniger Rechte hatten als Männer hatten und die Gesellschaft Konflikte handgreiflich austrug, bedeutete nicht, dass man seine Ehefrau einfach umbringen konnte.
 
Hirschl Schlöglin war als Zeugin zum Prozess geladen – doch leider war sie eine schlechte Zeugin, denn sie war nicht nur eine Frau, sondern auch noch jüdisch.  Wer sollte ihr also mehr Glauben schenken als dem Angeklagten, der behauptete, dass sei eine „ganz normale“ Züchtigung gewesen, bei der ein Unfall passiert war, der seine Frau auf den Kopf fallen ließ. Und so ging der Mörder frei, das Opfer war tot und man ging wieder zur Tagesordnung über.
 
Die Frühe Neuzeit war vielleicht brutaler als unsere Gegenwart – und trotzdem hätte dieser Fall auch heute passieren können, oder genauer gesagt: Solche Fälle passieren auch heute. Und wenn wir etwas aus der brutalen Frühen Neuzeit und vom Tod von Katharina Altlaffer mitnehmen können, so ist es dieses: Was wir als „normal“ empfinden, sollten wir überdenken, denn die Grenzen einer Normalität können langsam ausgeweitet werden, bis sie dann schließlich nicht mehr „normal“ sind und, wie in diesem Fall, Menschenleben kosten. Wir können mitnehmen, dass es immer jemanden gibt, der Gewalt mitbekommt und zur Hilfe bereit ist. Dass es, auch wenn es in dieser Geschichte nicht mehr gut ausging, lebensrettend sein kann, wenn man als Nachbar:in hinschaut, hinhört und Hilfe holt. Und zuletzt können wir mitnehmen, dass es wichtig ist, Frauen zu glauben, ob als Opfer oder Zeuginnen.