26. März 2025

Warum machen wir die Geschichte nicht besser als das Leben?

von Hannah Landsmann
© Burgtheater
Diesen Satz findet man in der Ankündigung zu „Alles ist erleuchtet“ auf der Website des Burgtheaters. Es handelt sich um die österreichische Erstaufführung des Romans „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer, der seit 2003 auch in deutscher Übersetzung vorliegt. 2005 wurde der Roman verfilmt. Dass man daraus durchaus ein Stück machen kann, hat Regisseurin Mina Solephur schon 2015 am Staatstheater Hannover gezeigt, jetzt lässt sich das auch im Wiener Akademietheater noch bis Mai 2025 sehen.

Die Hauptfigur, es handelt sich um den Romanautor Jonathan Safran Foer selbst, reist in die Ukraine, um dort etwas zu finden, was man vielleicht nur suchen kann. Er hat ein Foto bei sich, auf dem rückseitig eine Stadt und eine Jahreszahl notiert sind, die Vorderseite zeigt eine Frau namens Auguste, die seinem jüdischen Großvater das Leben gerettet haben soll. Neben diesem in einen hellgelben Anzug gekleideten Amerikaner sind ein vermeintlich blinder Taxifahrer, eine liebestolle Blindenhündin, ein klappriges Auto, das auf der Bühne gar nicht zu sehen ist, das wir uns aber alle vorstellen können, sowie Alex, der Reiseführer, zu erleben. Alex ist des Taxifahrers Enkel und die Schauspielerin, welche die Hündin verkörpert, hat nicht nur eine Rolle. Das Bühnenbild kommt mit Steinblöcken aus, die Requisiten sind – Bücher, Fotos, ein Baby, ein Tisch, ein Auto.

Kann man nach etwas suchen, das sich nicht finden lässt? Ja, man findet auch manchmal, wonach man gar nicht gesucht hat. Die von Sabine Apostolo und Gabriele Kohlbauer-Fritz kuratierte Ausstellung „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“, die bis 16. März 2025 im Jüdischen Museum Wien zu sehen war, machte auf eindrückliche Weise und mit ganz unterschiedlichen Objekten deutlich, dass das Erinnern der verschiedenen Generationen – die Überlebenden der Schoa, ihre Kinder und deren Enkel und Urenkel, sehr unterschiedlich vor sich geht, dass es aber scheint, als wäre allen eines gemein: Die Suche nach sich selbst.

Jonathan Safran Foers Roman und der gleichnamige Film waren in dieser Ausstellung vertreten, so dass wir Regisseurin Mina Solephur und ihr Team ins Museum eingeladen hatten. Wir verbrachten einen in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Vormittag mit den Theaterleuten und baten sie, uns ihre Lieblingsobjekte, -situationen, -zitate oder ganz einfach ihre Gefühle und Eindrücke wissen zu lassen. Diese waren auf kleine Zettelchen geschrieben und wurden uns vor der Hauptprobe übergeben, zu welcher Kuratorin Gabriele Kohlbauer-Fritz und Hannah Landsmann, sie leitet die Kulturvermittlung im Jüdischen Museum Wien, eingeladen waren.

Ob man, was auf der Bühne vor sich geht, versteht, haben wir in der Pause besprochen. Ja. Und nein. Vielleicht nicht sofort. Ein Buch ist ein Buch, ein Film ein Film und ein Stück ein Stück. Das Theaterstück ist ein Stück, ein Teil des Eindrucks, den das Buch oder der Film hinterlassen. Esther Safran Foer, Jonathans Mutter, hat uns für die Ausstellung einige ihrer „Memory Jars“ geborgt, Gläser, die Erinnerungen enthalten, mit einem weißen Deckel geschlossen und beschriftet sind. Die Gläser enthalten Erde, Steine, Baumrinde, Blätter aus Trachimbrod und anderen Orten - Stücke von etwas Ganzem, das nicht mehr vorhanden oder nicht vorstellbar ist.

Esther Safran reiste ebenfalls in die Ukraine und brachte nicht nur Erde von dort mit, sondern hinterließ an den Orten ihrer Familiengeschichte beschriftete Fotos ihrer Familie in den USA. In jedem der fünf von ihr besuchten Orte, in denen ihre Familienmitglieder einst lebten und sich heute Massengräber befinden, begrub sie ein Familienfoto.
 
Die Erinnerungsgläser werden erst wieder auf das Kaminsims in Esthers Wohnzimmer zurückkehren, wenn die Ausstellung, die ab 9. April 2025 im Jüdischen Museum München zu sehen sein wird, am 1. März 2026 schließt. Wenn Sie es in Wien verpasst haben, fahren Sie nach München. Und gehen vorher ins Theater.
 
Die Theaterkritik der „Presse“ zum Stück titelt mit „Eine Reise zurück in die Finsternis der Ukraine“, heller wird es jetzt dort womöglich länger nicht. Die ersten Sätze des Stückes fragen: „Was machen wir jetzt damit? Was machen wir jetzt mit dem, was wir wissen?“ Die Gegenwart besser als die Vergangenheit, die Zukunft besser als die Gegenwart.