08. Januar 2024
Schaufenster

7. Oktober 2023

von Tom Juncker & Adina Seeger
© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv
Unmittelbar nach dem brutalen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begann die ukrainisch-israelische Künstlerin Zoya Cherkassky-Nnadi die schrecklichen Ereignisse in Bildern zu verarbeiten. Entstanden ist dabei eine Serie, die versucht, den Horror dieses entsetzlichen Überfalls auf jüdisches Leben künstlerisch abzubilden.

Bereits vier Tage nach dem Angriff begann Zoya Cherkassky-Nnadi zu malen. Ihre Arbeiten zum 7. Oktober zeigen das „israelische Guernica“, wie es die Künstlerin selbst bezeichnet – eine Anspielung auf Pablo Picassos berühmtes Monumentalgemälde, auf dem er die Schrecken des deutsch-italienischen Luftangriffs auf die spanische Stadt Guernica (baskisch: Gernika) im Spanischen Bürgerkrieg am 26. April 1937 verarbeitete. Die Bombardierung durch die die faschistischen Truppen General Francisco Francos unterstützende Legion Condor, die keine militärischen Ziele verfolgte, sondern nur die Demoralisierung der Zivilbevölkerung erreichen sollte, hatte damals ein Drittel der Bevölkerung getötet und verletzt. Picasso schrieb damals: „Es ist mein Wunsch, Sie daran zu erinnern, dass ich stets davon überzeugt war und noch immer davon überzeugt bin, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“1

Nach den Berichten über den Angriff auf den Kibbuz Be’eri musste Cherkassky-Nnadi an Picassos Guernica denken: „Weil es so ähnlich ist: es ist einfach ein Massaker an unschuldigen Menschen. Und etwas, von dem wir nicht glaubten, dass es in Israel passieren könnte, und das auf so brutale Weise.“2 Die erste Arbeit der Serie zeigt eine israelische Familie – Kinder, Eltern und Großeltern – in deren Gesichter sich Angst und Schrecken eingeschrieben haben. Das Bild legt nahe, dass die Familie sich vor den Angreifern versteckt. Mit der im Bild dargestellten Deckenleuchte zitiert Cherkassky-Nnadi Guernica direkt und unterstreicht damit die Parallelen zwischen den beiden Motiven.
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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv
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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv

In anderen Bildern der Serie zitiert die Künstlerin Edvard Munchs Der Schrei und Giottos Massaker der Unschuldigen. „Ich nutze das kollektive Gedächtnis einer Künstlerin, um über diese Ereignisse zu sprechen“3, so Cherkassky-Nnadi. Dabei bettet sie das Leid und die menschliche Katastrophe des 7. Oktober 2023 in einen geistes- und kunstgeschichtlichen Rahmen ein, der die universale Bedeutung des Angriffs, die weit über Israel hinausreicht, unterstreicht.

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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv

Weitere Arbeiten der Serie, die auch Referenzen auf Käthe Kollwitz beinhalten, beziehen sich auf konkrete Geschehnisse des 7. Oktober, so zum Beispiel auf den Angriff auf das Nova-Festival oder auf die Entführung von dutzenden Kindern nach Gaza. Cherkassky-Nnadi war es dabei wichtig, auch die (sexualisierte) Gewalt an Frauen zu thematisieren: „Ich denke, dass Frauen im Krieg besonders brutal behandelt werden. Besonders bei diesem speziellen Angriff.“4 Eine Arbeit aus der Serie mit dem Titel Raped and Butchered zeigt dabei eine vergewaltigte und ermordete Frau. Eine andere zeigt eine Gruppe entführter Frauen, unter ihnen eine Holocaust-Überlebende – zu erkennen an der auf dem Unterarm tätowierten KZ-Häftlingsnummer.

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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv


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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv
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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv

Alle Bilder der Serie sind auf den 7. Oktober datiert und handeln von diesem Tag. „Es geht nicht um eine Analyse, es geht auch nicht darum, was seitdem alles in Gaza passiert ist, sondern es geht um diese bestimmte Tragödie am 7. Oktober“5, so die Künstlerin.

Bereits im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine befasste sich Zoya Cherkassky-Nnadi mit Gewalt, Krieg und deren Folgen. 1976 in Kiew geboren, emigrierte die Künstlerin 1991, kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion, mit ihrer Familie nach Israel. In ihrer Serie Soviet Childhood hielt sie über Jahre Erinnerungen an ihre sowjetische Kindheit fest. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 begann sie ihre Eindrücke des Kriegs künstlerisch zu verarbeiten und malte einige dieser Szenen neu. So schuf sie die Serie Before and After, eine Gegenüberstellung ausgewählter Soviet Childhood-Bilder und jeweiliger aktueller Pendants. Die Serie zeigt, wie sich Erinnerungen durch Krieg verändern können. Eine dieser Gegenüberstellungen ist in unserer Sonderausstellung Frieden im Museum Judenplatz zu sehen.

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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv
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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv

Laut Zoya Cherkassky-Nnadi richtet sich die aktuelle Serie zum 7. Oktober 2023 einerseits an die Menschen in Israel, als Anerkennung ihres Leids, und soll als „Requiem“6 verstanden werden. Als scharfe Kritikerin der aktuellen israelischen Regierung und aus ihrem linken Selbstverständnis heraus adressiert die Künstlerin andererseits damit vor allem auch die internationale Kunstszene. Die Künstlerin drückt ihre Enttäuschung über deren Reaktion aus, die Massaker des 7. Oktober einfach beiseitegeschoben zu haben. Sie habe sich reflexartig, die antikoloniale Erzählung unreflektiert aufgreifend, auf die Seite der Unterdrückten gestellt und in Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung die Verbrechen der Hamas gerechtfertigt.7

Die Serie 7. Oktober 2023, die Zoya Cherkassky-Nnadi zuerst auf ihren Social-Media-Kanälen veröffentlichte, ist der Versuch mit den Mitteln der Kunst den brutalen Angriff auch außerhalb Israels im Bewusstsein möglichst vieler Menschen zu verankern und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Bilder sind Zeugnisse der tragischen Zäsur, für die der 7. Oktober 2023 steht – nicht nur in Israel, sondern auch für die jüdischen Gemeinden und jüdisches Leben weltweit.

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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv
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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv


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© Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv

Zoya Cherkassky-Nnadi, *1976
October 7th, 2023
Mixed media
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und der Rosenfeld Gallery, Tel Aviv / Courtesy of the artist and Rosenfeld Gallery, Tel Aviv


1 Alexandra Matzner, Picasso: Guernica. Ausstellung zum 80. Geburtstag des Gemäldes im Museo Reina Sofia, Madrid, in: Art in Words, 18.02.2017, https://artinwords.de/picasso-guernica/ (14.12.23).

2 Sam Lin-Sommer, In painting the horrors of both Ukraine and Israel at war, an artist finds echoes of Picasso’s ‘Guernica’, in: Forward, 25.10.2023, https://forward.com/culture/566796/israel-gaza-hamas-war-painting-ukraine-cherkassky/ (14.12.2023).

3 Tess Thackara, ‘It’s important to me to show what happened’: the Israeli artist drawing the traumatic events of 7 October, in: The Art Newspaper, 28.11.2023, https://www.theartnewspaper.com/2023/11/27/zoya-cherkassky-nnadi-interview-hamas-attack-israel (14.12.2023).

4 Lin-Sommer, In painting the horrors.

5 Elke Buhr, Künstlerin Zoya Cherkassky: „Es ist ein Requiem“, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben, 28.11.2023, https://www.monopol-magazin.de/interview-zoya-cherkassky-terror-hamas-israel-es-ist-ein-requiem (14.12.23).

6 Ebd.

7 Vgl. ebd.