04. September 2023
Aktuelles

Auf Wiedersehen Wien

von Hannah Landsmann
© Klaus Pichler
Ganz zufällig habe ich erfahren, dass ich alsbald das Jüdische Museum und damit Wien verlassen muss. Ich war geschockt! Ich bin es noch, denn wer weiß, wohin man mich bringen wird? Mittlerweile konnte ich ausfindig machen, dass ich eine Rückreise antrete, da ich keine Wienerin bin, sondern aus Altaussee stamme. Ich bin technisch gesehen weder das eine noch das andere, ich bin eine Leihgabe!

Seit 2013 hänge ich im Jüdischen Museum in der Glaskonstruktion – man hat einen guten Blick auf den Wiener Himmel und einen ganz und gar normalen Innenhof – und ich habe unzählige Male gehört, wie sich Besucher:innen vor dem Fahrrad treffen sollen oder Vermittler:innen am liebsten „beim Radl“ ihre Workshops halten, beginnen oder beenden. Einiges an politischer Prominenz wurde mit mir fotografiert – wegen des Gegenlichts waren die Ergebnisse nicht immer perfekt, aber was ist schon perfekt?

Meine Erinnerung ist es jedenfalls nicht. Dass Theodor Herzl mit mir oder womöglich auf mir das Radfahren erlernt hätte, beim besten Willen, das weiß ich nicht mehr. Dass Arthur Schnitzler sein Radfahrlehrer gewesen sein soll? Im Innenhof des Hotels „Schneiderwirt“ hätten diese Radfahr-Lektionen angeblich stattgefunden.

Ich bin eine Halbrennmaschine und wurde im deutschen Rüsselsheim hergestellt. Adam Opel sollte später Autos bauen, vorher hat er mit Rädern experimentiert. Victoria Blitz ist jedenfalls ein klingender Name. Ich habe keine Bremse und kein Licht, wäre also für die Österreichische Straßenverkehrsordnung nicht entsprechend ausgestattet, herumfahren werde ich auch in Zukunft nicht. Aber was werde ich tun? Es war zu hören, dass Altaussee 2024 Teil der europäischen Kulturhauptstadt-Aktivitäten werden wird. Vielleicht wird man mich wieder ausstellen? Aber als was? Als Victoria? Als Frau Blitz? Als Theodor Herzls Rad? Bin ich das denn wirklich? Und wo wird man mich platzieren?

Bei Führungen kann man eine ganze Menge interessanter Dinge hören: ich bin 2009 entdeckt worden. Für eine Ausstellung über die „Alpen“ und die mit ihnen verbundenen jüdischen Beziehungsgeschichten wurde recherchiert und man fand mich in Altaussee. In Wien war man sehr begeistert, ich kam und blieb als Leihgabe.

Mittlerweile weiß ich, dass Theodor Herzl und viele seiner Zeitgenossen nachgerade fanatische Radfahr-Fans waren. Die „Wien um 1900“ Clique fand Radfahren ungeheuer modern und chic. Wenn man Herzls euphorischem Feuilleton-Text in der Neuen Freien Presse glauben will, war Wien im Jahr 1896 eine richtig moderne Stadt. Denn hier fuhren Fleischhauer auf Fahrrädern die Ringstraße entlang! 1895 war Karl Lueger zum ersten Mal zum Wiener Bürgermeister gewählt worden. So weit war es mit der Modernität dann wohl doch nicht her? Bis zu Luegers definitiver Bestätigung sollte es bis 1897 dauern.

Dass Theodor Herzl 1896 seinen viel bekannteren Text „Der Judenstaat“ verfasst hat und dass er die Gründung dieses Staates 1948 gar nicht erlebt hat, weil er schon 1904 gestorben war, in Edlach an der Rax – er starb in einem Sanatorium, nicht auf Sommerfrische – weiß ich natürlich auch längst. Führungen bilden ungemein. Werden die Kurator:innen im Museum statt meiner etwas Anderes in den Museumshimmel hängen? Was könnte das sein? Vielleicht lassen sie es auch bleiben, mit dem Licht und den Fotos war das ja nie ganz einfach. Man kann einräumen, dass Objekte nicht nur wegen der Fotos in eine Ausstellung kommen sollten.

In Anbetracht der Ungewissheit meines weiteren Weges bin ich ordentlich ins Grübeln geraten. Bin ich, was ich bin oder wurde ich, was ich nie war? Nachdem meine Zukunft recht unsicher ist und meine nächste Adresse mir gar nicht bekannt ist, werde ich einen Nachsendeauftrag einrichten lassen. Das wird man mir wohl nicht vorenthalten.

Vielleicht wollen Sie mir schreiben? Vielleicht wissen Sie mehr als ich, dann sollten Sie es jedenfalls tun. Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.