04. März 2021
Hinter den Kulissen

Donnerstags in der Sammlung

von Hannah Landsmann
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Immer Donnerstags dürfen wir ein neues „Objekt der Woche“ präsentieren. Was passiert also, wenn man das Wort „Donnerstag“ in das Museumsinventar eingibt. Welche Objekte werden dann „ausgespuckt“?

Elisabeth de Waal, die Großmutter von Edmund de Waal, ist Autorin des 2011 als Roman erschienen Textes „Donnerstags bei Kanakis“, den ihr Enkel unter den Familiendokumenten fand, als er an seinem Bestseller „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ arbeitete und dafür Schicht um Schicht und Blatt für Blatt des Familienuniversums Ephrussi geborgen hat. Edmund de Waal und seine Familie entschieden noch vor der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, einen Teil des Familienarchivs Ephrussi dem Museum zu schenken. „Donnerstags bei Kanakis“ war nicht dabei, wohl aber Elisabeths Promotionsurkunde und ihr Stipendium der Rockefeller Stiftung für einen Aufenthalt in New York. Diese beiden Dokumente aus der generösen Schenkung gesellen sich nun zu weiteren in der Sammlung befindlichen Objekten mit direktem Bezug zur Familie. Miteinander bilden sie den Gesamtbestand an knapp 30.000 Inventarnummern.

Foto © JMW
 
Die Suche nach Objekten, die als Erzählerinnen und Erzähler taugen eignen, kann zu einem Spiel geraten, das Anleihen bei gelesenen Büchern und Katalogen, anderen Ausstellungen sowie Erlebnissen und Gesprächen nimmt. Die solcherart gefundenen Dinge sind womöglich gar nicht ausgestellt. Dies ist zum Beispiel bei einem Tora-Wimpel aus dem Jahr 1879/80 der Fall. Er hat noch nie den Duft einer Ausstellung geatmet, die aufregende Vorbereitungsphase oder gar die feierliche Eröffnung. Dieses mehr als drei Meter lange Stoffstück befindet sich in einer Schachtel im großen Kompaktus im Schaudepot im dritten Stock des Museums Dorotheergasse. Etwas rechts von der Mitte und ganz im Inneren der Vitrine.
 
Foto © JMW
 
Die genauen Maße belaufen sich auf 341 x 19,5 cm. Verwendet wurde es anlässlich der Bar Mitzwa Feier des Natan, „Sohn des Aharon Gutmann, geboren unter einem guten Stern am Donnerstag, den 5. Elul 660 [30. August 1900] nach der kleinen Zeitrechnung, möge der Herr ihn heranwachsen lassen zur Tora, (…) zur Chuppa und zu guten Taten. Amen (…)" Der Brauch, dass Bar Mitzwa Burschen bei ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter einen Tora-Wimpel ihrer Synagoge zum Geschenk machen, ist in Süddeutschland verbreiteter als hier zu Lande. Ein Wimpel besteht aus jenen Windeln, in die der Säugling bei seiner Beschneidung eingewickelt war. Gewaschen, zusammengenäht, bemalt oder bestickt werden die folgenden Stationen seines Lebensweges auf dem Stoff schon angekündigt, nämlich die Bar Mitzwa, wo er im Alter von 13 Jahren das erste Mal aus der Tora lesen und erwachsen wird, und zu einem späteren, noch unbekannten Zeitpunkt die Hochzeit, die mit einer Chuppa symbolisiert wird. Die Chuppa, hebr. für Trauhimmel, ist ein auf vier Stangen ruhendes Stoffstück, das das gemeinsame Glück im gemeinsamen und nach allen Seiten für Gäste offenen Haushalt symbolisiert.
 
Foto © JMW
 
An einem Donnerstag, nämlich dem 13. November 1851, verstarb der aus Lemberg stammende Joel Waldberg, „unser bewundernswerter und ausgezeichneter Lehrer“. Auf den mittlerweile nur mehr zwei an Ketten befestigten Plaketten ist die Widmungsinschrift zu sehen, aus der die Namen eines weiteren Sohnes namens Mosche und Joel Waldbergs Gattin Chana aus Lemberg hervorgehen, welche das Objekt, ein Tora-Schild, „als Geschenk zum Andenken“ anfertigen ließen. Dieses zum Schmuck einer Tora-Rolle gehörende Tas (hebr. für Tora-Schild) ist wegen seiner kleinen Größe vielleicht für eine Reise-Tora gefertigt worden und gehört ebenfalls in den Sammlungsbestand aus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. 1851 gab es in Wien allerdings offiziell noch keine jüdische Gemeinde. Die Amtspunze gibt Auskunft über den Herstellungsort Lemberg, formal gehört das Schild zu einem Typus, der um 1800 in Berlin entstanden ist. Vielleicht wurde es nach einer Vorlage in Lemberg kopiert. Dieses Objekt befindet sich ebenfalls im Schaudepot des Museums und ebenfalls in der großen Mittelvitrine. Das Tora-Schild ist, ohne Ketten und Anhänger, mit den Maßen 14 x 10 cm recht klein. Vielleicht können Sie es ja bei Ihrem nächsten Besuch im Schaudepot entdecken.
 
Titelbild © Ouriel Morgensztern