23. Oktober 2024
Aktuelles

In memoriam: Dr. Helga Feldner-Busztin (1929 – 2024)

von Hannah Landsmann
© Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Sehr geehrte Frau Dr. Feldner-Busztin, liebe Helga,

da ich mittlerweile weiß, dass es den Lebenden helfen kann, den Toten Briefe zu schreiben, wird der Nachruf auf Sie nun diese Form annehmen. Wir haben uns nicht wirklich gekannt, aber da Sie im Jüdischen Museum Wien mehrfach vertreten sind, scheint mir dies ein gangbarer Weg. Im Oktober 2008 schenkten Sie dem Jüdischen Museum Wien 55 Postkarten, welche von Margarethe Mezei und ihren Kindern Kurt und Ilse an Sie und Ihre Mutter Hertha Pollak geschrieben worden waren. Ihre Mutter lernte Margarethe Mezei auf einem Wiener Postamt kennen, die beiden Frauen merkten, dass ihre Ehemänner im gleichen Lager in Italien inhaftiert waren. Die 200 Männer wurden von dort nach Auschwitz deportiert und bis auf zwei alle ermordet, einer der Überlebenden war Ihr Vater Paul Pollak, der Arzt war. Sie waren etwas jünger als die beiden Mezei Kinder, Kurt und Ilse, und freundeten sich mit ihnen an. In einem Gespräch anlässlich der Schenkung der Karten an das Museum erzählten Sie, dass Sie Ihre Kochkünste an den Mezeis ausprobiert hätten, es gab Erdäpfelsuppe.

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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien

Mit dem österreichischen Historiker Albert Lichtblau hatten Sie auch Kontakt, er hatte von den Postkarten Scans angefertigt. In einem Gespräch mit ihm meinten Sie, Sie hätten großes Glück gehabt. Das Lager Theresienstadt überlebt zu haben, drei Transporten entgangen zu sein, es nach dem Krieg geschafft zu haben, die Schule, die Uni. Sie wurden Ärztin für Innere Medizin und führten lange eine Privatpraxis. Ihre Gedanken zum Überleben schlossen Sie so: „Ich war ja auch am 10. September 2001 im World Trade Center und bin noch am Abend nach Wien geflogen. Also bin ich neugierig, was da noch auf mich zukommt."

Ihre Schenkung an das Jüdische Museum enthält auch ein Foto, das zwei Damen und zwei Herren zeigt, ganz außen links könnten Sie zu sehen sein. Das steht zumindest so im Museumsinventar. Ein Journalbuch des medizinischen Personals eines Sammellagers in Wien ist ebenfalls Teil der Schenkung. Die Hintergründe liegen noch im Dunklen. Sie hatten dieses Buch in Ihrem Besitz vorgefunden. Es stammt möglicherweise aus dem Erbe ihres Vaters Dr. Paul Pollak, der Polizeiarzt gewesen ist. Es umfasst Einträge und Aufzeichnungen einer Krankenstation aus dem Zeitraum Jänner 1942 bis Februar 1943. Sammellager befanden sich in der Kleinen Sperlgasse, in der Castellezgasse, in der Miesbachgasse und in der Malzgasse im Zweiten Wiener Gemeindebezirk.

Wir hatten Sie im Rahmen unserer Kooperation mit erinnern.at zu einer Veranstaltung für Lehrer:innen ins Museum eingeladen, das muss noch vor 2008 gewesen sein. Es ging um das Erzählen und Erinnern der Zeitzeug:innen und wie oder ob man das im Geschichtsunterricht einsetzen solle. Wir trafen uns vorab im „Café Teitelbaum“, so hieß das Café des Jüdischen Museums damals, wir tranken Kaffee und Sie baten um Tixo. Als ich damit zurückkam, lag neben ihrer Kaffeetasse ein gelbes Stück Stoff. Es handelte sich um Ihren „Judenstern“, den Sie aufbewahrt hatten. Ich weiß nicht, ob Sie die Anwesenden damit provozieren wollten, vielleicht wollten Sie einfach sehen, ob man Sie darauf anreden würde? Nichts geschah. Keine Reaktion zu dem an der linken Seite Ihrer Jacke fixierten Stoff. Nach der Veranstaltung und auf dem Weg zur Garderobe löste sich der mit Tixo befestigte Stern von der Jacke und fiel auf den Boden. Mir war das aufgefallen und ich hob ihn auf. Sie nahmen mir den „Judenstern“ aus der Hand und meinten lakonisch: „Das hält auch nichts aus.“ An diese Szene muss ich immer wieder denken und ich wünschte, ich hätte damals, früher, zu Ihren Lebzeiten mehr gefragt. Oder einen Brief geschrieben.

In der 2013 eröffneten Dauerausstellung „Unsere Stadt!“ gibt es im 2. Stock einen Bereich, in dem Besucher:innen über den kostenlos abrufbaren Multimediaguide sieben Zeitzeug:innen zuhören können. Sie erzählen vom Leben nach dem Überleben. Eine Erzählerin sind Sie. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Vitrine, in der ein Foto und ein Ausschnitt aus dem Tagebuch von Kurt Mezei zu sehen sind.

In der aktuellen Wechselausstellung „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“ sind Sie ebenfalls vertreten. Die Eltern Ihres Mannes Hans Busztin erhielten im September 1942 den Deportationsbescheid. Der befreundete Arzt und Junggeselle Pepi Feldner bot an, die beiden Söhne zu verstecken. Die Eltern waren unsicher, ob das Versteck oder die Flucht gefährlicher sei und trennten die beiden Kinder. Ihr späterer Mann Hans, damals Hansi, überlebte als einziger der Familie in einer Wohnung in der Wiener Neubaugasse. Schon in den 1940er-Jahren befand sich das Nähkästchen samt Nähkissen in dieser Wohnung, in der heute eine Arztpraxis ist. Als Zeugnis vom Überleben Ihres Mannes befindet es sich gerade in der Ausstellung im ersten Stock des Museums. Ihre Enkelin Anna Goldenberg hat ihm und seinem Retter in ihrem Roman „Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“ ein Denkmal gesetzt. Sein Nachname ist ein Teil Ihres Familiennamens geworden.

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© Tobias de St. Julien